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Titel
Designing Norman Sicily. Material Culture and Society


Herausgeber
Winkler, Emily A.; Fitzgerald, Liam; Small; Andrew M.
Reihe
Boydell Studies in Medieval Art and Architecture
Erschienen
Woodbridge 2020: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
XIX, 234 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Becker, Historisches Seminar, Universität Heidelberg

Die Transkulturalität der normannischen Herrschaftsepoche in Süditalien und Sizilien, insbesondere unter König Roger II. (1130–1154), hat bereits mehrfach das Interesse der Forschung gefunden.1 In der vorliegenden Publikation, die in einer interdisziplinären Forschungskooperation entstanden ist, wird die kulturelle Interaktion im normannisch-sizilischen Königreich des 12. Jahrhunderts gezielt unter dem Aspekt der materiellen Kultur beleuchtet und damit dem material turn in der Kulturwissenschaft Rechnung getragen.2 Für die Entwicklung und Ausgestaltung der mittelalterlichen sizilischen Gesellschaft komme der materiellen Kultur als kreativem Impulsgeber und visuellem Medium eine grundlegende Rolle zu, so die Grundthese dieser Publikation. Der Titel „Designing Norman Sicily“ soll dabei die wechselseitige Interaktion zwischen dem „creator“ und „reader“ dieser visuellen Sprache verdeutlichen (S. 2). Im Zentrum dieses Sammelbandes stehen verschiedene Artefakte wie (illustrierte) Handschriften, Mosaike, architektonische Zeugnisse, Münzen und Textilien, die entweder noch unerforscht sind oder durch jüngste technologische Fortschritte neu bewertet wurden.

Anhand von neun interdisziplinären und transnationalen Beiträge soll gezeigt werden, dass „the visual world of Norman Sicily was one of the most striking, important, and dynamic in the Mediterranean“ (S. 2), so das selbstgesetzte Ziel dieses Sammelbandes. Im ersten Beitrag untersucht Lisa Reilly unter anderem den Gebrauch von römischen Spolien in der Cappella Palatina (S. 23–46) und interpretiert deren Verwendung unter Roger II. als bewusste Anknüpfung an die vielen Etappen der sizilischen Geschichte und damit als Bindeglied in der visuellen Kultur Siziliens. Dem Aspekt der visuellen Hofkultur Rogers II. widmet sich auch der folgende Essay von William Tronzo (The Interplay of Media: Textile, Sculpture and Mosaic, S. 47–59). Eine Neuinterpretation der Tabula Rogeriana („Book of Roger“) des Geographen al-Idrīsi bietet Katherine Jacka in ihrem Beitrag (S. 60–88), wobei sie die strategisch-politische Bedeutung der hier gebotenen Informationen bezüglich Toponymie, Entfernungen und Anordnung von Häfen sowie Siedlungen für Roger II. betont. Inwieweit die normannischen Herrscher auf bereits bestehende Handelsnetzwerke in Süditalien beziehungsweise auf eine „shared trans-cultural artistic language in the global medieval world“ (S. 112–113) zurückgriffen, zeigen die Beiträge von Emma Edwards (Patronage and Tradition in Textile Exchange and Use in the Early Norman South, S. 89–113) und Liam Fitzgerald (Imperial Iconography on the Silver Ducalis, S. 114–132). Die Studie von Martin Carver und Alessandra Molinari über „Sicily and England: Norman Transitions compared“ (S. 133–165) kann durch die Anwendung neuartiger biomolekularer Methoden spannende Einblicke in Siedlungsgeschichte, Landwirtschaft und Bestattungsriten gewähren, welche die bisherigen archäologischen und historiographischen Erkenntnisse erweitern.

Auch der Beitrag der Kunsthistorikerin Margherita Tabanelli (Beyond ‚Plan bénédictin‘: Reconsidering Sicilian and Calabrian Cathedrals in the Age of the Norman County, S. 166–183) kann seit langem bestehende Forschungsmeinungen revidieren. Durch eine eingehende Untersuchung der ersten normannischen Kathedralen in Kalabrien und Sizilien belegt Tabanelli, dass nicht eine einzige architektonische Form der dreischiffigen Basilika von der Normandie nach Kalabrien und von dort nach Sizilien übertragen worden sei, sondern dass die von den normannischen Grafen nach 1060 gegründeten Kirchen verschiedene architektonische Designs aufwiesen. Ihr gelingt es nachzuweisen, dass es eine lineare Weiterentwicklung des architektonischen Prototyps der ältesten kalabresischen Benediktinerabtei S. Maria di Sant’Eufemia nicht gegeben hat und dass erst Roger II. bei dem Bau der Kathedrale von Cefalù aus Kontinuitätsgründen nach jahrzehntelanger Pause bewusst wieder an dieses architektonische Modell angeknüpft habe. Die weitreichenden Herrschaftsansprüche Rogers II. sollten durch eine transkulturell-visuelle Sprache in Verbindung zwischen architektonischer Tradition und mediterranen Dekorationsformen (Mosaike, Muqarnas-Decken etc.) vermittelt werden.

Der Untersuchung der Schöpfungssequenzen auf den Mosaiken der Cappella Palatina und der Kathedrale von Monreale ist der Beitrag von Fabio Scirea gewidmet (S. 184–206). In beiden Mosaikzyklen lässt sich nachweisen, dass eine kulturübergreifende Bildsprache entwickelt wurde, um die multikulturellen Einflüsse innerhalb des normannischen Hofes widerzuspiegeln. Durch die Kombination der Fähigkeiten byzantinischer Mosaikkünstler, westlicher ikonographischer Tradition und interkultureller wissenschaftlicher Kenntnisse wurde in diesen Schöpfungssequenzen von Monreale und Palermo eine einzigartige, kohärente visuelle Sprache für das normannische Königreich kreiert. Im abschließenden Essay analysiert Sarah Whitten (Remembering, Illustrating, and Forgetting in the Register of Peter the Deacon, S. 207–221) das zwischen 1131 und 1133 erstellte Urkundenregister des Petrus Diaconus, eine abschriftliche Sammlung der Urkunden des Klosters Montecassino. Ähnlich wie es bereits Katherine Jacka für das „Book of Roger“ al-Idrīsi‘s zeigen konnte, betont auch Whitten die politische Sprache dieses Urkundenregisters, das die süditalienische Benediktinerabtei Montecassino nicht nur über die Wirren des Schismas von 1130 retten, sondern durch die Visualisierung ihrer Besitzungen auch zur Kontrolle ihrer Machtstellung in Süditalien beitragen sollte.

Den besonderen Reiz dieser reich illustrierten Publikation macht die internationale Zusammenarbeit von Kunsthistorikern, Mittelalterarchäologen und (Bau-)Historikern aus. Auch wenn sich nicht alle Autoren in gleicher Weise auf die von den Herausgebern geforderte wechselseitige Wirkung und visuelle Sprache ihrer behandelten materiellen Artefakte eingelassen haben, besticht dieser Sammelband durch seinen konstruktiven und innovativen Zugang zu teilweise seit langem diskutierten Forschungsfragen, die hier eine ganz neue Antwort erfahren. Ungewöhnlich ist lediglich das abschließende Register, in dem Personen, Orte und Sacheinträge gemischt aufgeführt sind.

Anmerkungen:
1 Siehe hierzu die Beiträge in: Stefan Burkhardt / Thomas Förster (Hrsg.), Norman Tradition and Transcultural Heritage. Exchange of Cultures in the 'Norman' Peripheries of Medieval Europe, Farnham 2013.
2 Siehe hierzu vor allem die Arbeiten des an der Universität Heidelberg angesiedelten Sonderforschungsbereiches 933 „Materiale Textkulturen“: Michael R. Ott u.a. (Hrsg.), Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken, Berlin u.a. 2015.